Janos Frecot – Der Pfarrgarten Saxdorf

(c) Merit Selbach – merit.selbach@web.de

Theodor Fontanes Wort „Alles Gute, wie überall im Leben, liegt jenseits der großen Straße“ könnte angesichts von Saxdorfs geographischer Lage abseits aller größeren Eisenbahn- und Autobahntrassen geradezu als Motto über dem Eingang des Pfarrgartens stehen. Ein winziges Dorf im Dreieck Torgau-Bad Liebenwerda-Mühlberg/Elbe im südlichen Brandenburg, eine Kirche aus dem 13. Jahrhundert, ein gründerzeitliches Pfarrhaus aus roten Backsteinen, ein überraschend geräumiges und architektonisch gelungenes Gemeindehaus aus der Mitte der 1990er Jahre, erbaut für die Konzerte, Lesungen und Ausstellungen der seit bald dreißig Jahren veranstalteten „Saxdorfer Sommermusiken“ “ und ein zehntausend Quadratmeter großer Garten: wer den Eingang durchschritten hat, sieht sich unversehens in eine Vielfalt von Gängen, Räumen, Sichtachsen, Lauben und Ruheplätzen einbezogen, in ein Gesamtkunstwerk im Zusammenklang von Bäumen und Sträuchern, Rosenlauben und Staudenbeeten mit Skulpturen aus Holz und Stein, und manchmal Durchblicke über alte Kreuze und Grabsteine des Gottesackers auf Turm oder Apsis der von Rosen umrankten Kirche.

Als vor einigen Jahren ein angehender Gartengestalter den Pfarrgarten zum Thema seiner Diplomarbeit machte, zählte er rund dreitausend Arten und Sorten von Pflanzen, darunter etwa dreihundert zumeist Alte Rosen, eine auf bald sechzig Arten angewachsene Bambus-Sammlung, zahlreiche Kamelien und Päonien, winterharte Kakteen und Sukkulenten und unter den Stauden viele Züchtungen von Karl Foerster.

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Dabei ist der Garten, wie er sich uns heute darbietet, erst im Laufe der letzten vierzig Jahre entstanden: 1967 pflanzte der Maler und Graphiker Hanspeter Bethke, dessen Gartenträume sich in Halle an der Saale nicht realisieren ließen, in Saxdorf den ersten Baum, um bald ganz zu übersiedeln, und im Gepäck hatte er neben seinen Bildern und Farben vor allem Pflanzen. Grundkenntnisse der Gartenarbeit und Liebe zur Welt der Pflanzen wurden früh erworben; es hat sich ein Foto des Fünfjährigen erhalten, das ihn beim Gießen eines Blumenbeetes zeigt, und die körpersprachliche Ähnlichkeit in der konzentrierten Aufmerksamkeit, die uns das Foto vermittelt, zu dem Menschen, den wir heute als den Künstler und Gärtner vor uns sehen, ist wirklich frappierend! In Menschen wie in Pflanzen lassen sich frühzeitig die Umrisse der erwachsenen Form in Gestik und Gestalt erkennen.

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Längere Arbeitsaufenthalte als Restaurator im Wörlitzer Park vertieften in Hanspeter Bethke den Drang zur Schaffung und Gestaltung eigener Gartenräume. In Zusammenarbeit mit Pfarrer Karl-Heinrich Zahn entstand aus einem Kern in immer ausgreifenderen Segmenten der heutige Garten, der in seiner verschlungenen Wegeführung und fantasievollen Fassung einzelner Inseln und Räume den Besucher fortwährend vor neue, unerwartete Gartenbilder führt.

Von Gartenliebhabern gestaltete Gärten haben stets den Charakter von Sammlungen, und hinter der Lust an der Vielfalt und Individualität der lebendigen Pflanzenwelt erlebt man die Aufgabe, sie zu bewahren und weiterzugeben. Gärten in der früheren DDR waren Sammlungen noch in einem anderen Sinn: Trotz der großen gärtnerischen Traditionen von Erfurt oder Potsdam gab es weder einen reichhaltigen noch einen spezialisierten gärtnerischen Markt. So mußte man fleißig, findig und kenntnisreich sein, Beziehungen pflegen, Pflanzen tauschen, sich von Reisen mitbringen lassen oder Raritäten auf Friedhöfen entdecken, um davon zu vermehren: einen so ungewöhnlich artenreichen Garten wie den Saxdorfer zu schaffen war nur als Ergebnis intensiver Kommunikation unter Gleichgesinnten möglich.

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Der Pfarrgarten will kein Park sein, er simuliert keine dominierende formale Idee, sondern lebt ganz aus dem Wachstum vieler Einzelaspekte, die sich doch zu einem einheitlichen Bild verdichten: Gartenkultur entsteht wesentlich aus den Beziehungen zwischen Drinnen und Draußen wie der steten Verwandlung von Sichten, Wegen und Räumen im Lauf des Durchschreitens wie der Jahreszeiten. Was die Inseln und Räume leitmotivisch miteinander verbindet sind die von niederen Sandsteinblöcken gefaßten Rasenwege, die sich dann und wann zu Rasenzimmern, ja Sälen erweitern, mal dämmrig-gesäumt von Eiben, Azaleen und Rhododendren und überhöht von Nadelgehölzen, mal licht und hell übersprüht von Rosen und Kamelien, gesäumt von Fingerhut und Rittersporn. Auffällig der Drang ins Vertikale: nicht nur durch präzis plazierte, form- und farbsicher gestaltete Holz-Skulpturen oder Steinsäulen, sondern vor allem durch die Vielfalt an Kletterpflanzen, die über Bögen, Pergolen, Lauben und Rankgerüste wachsen, die Giebel und Dächer überziehen und sich ineinander verweben, um zauberhafte Blüten- und Blattwerkbilder darzubieten aus Clematis und Geißblatt, Akebien und Kletterhortensien.

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Trotz seiner Entlegenheit zählt Saxdorf jährlich Tausende von Besuchern. Hierzu tragen neben dem Rosenfest und den Bambustagen vor allem die „Saxdorfer Sommermusiken“ bei, und da kann es schon einmal geschehen, daß zu einem Vivaldi-Konzert doppelt so viele Hörer kommen, wie die Kirche Plätze bietet, so daß die Musiker von den Dresdener Philharmonikern das Programm kurzentschlossen noch einmal spielen. Hier wird man nicht nur herzlich empfangen, sondern freundlich durch den Tag begleitet und verläßt Saxdorf mit dem dringenden Wunsch, bald wiederzukommen.

Aus der Zeitschrift >blätterrauschen< der Gesellschaft zur Föderung der Gartenkultur, Ausgabe 31, Herbst 2007

Fotos: Merit Selbach – merit.selbach@web.de