LAUDATIO zur Ausstellung „Manns-Bilder“

Am Wachsen, Verändern und Vergehen entwickelt er seine Bildzeichen

Betrachtungen zum Werk des Saxdorfer Malers, Grafikers und Gartengestalters Hanspeter Bethke (Galeriegespräch in Elsterwerda am 5.11.2010)

Vor 40 Jahren ist der gebürtige Magdeburger, der an der Burg Giebichenstein in Halle studiert hat und dann als Maler und Baurestaurator tätig war, in der Pfarre von Saxdorf (Landkreis Elbe-Elster) ansässig geworden. Er hat damals das Stallgebäude als Atelier umgebaut und zusammen mit Pfarrer Karl-Heinz Zahn den verwilderten Obstgarten zu einem wundersamen „Künstlergarten“ entwickelt, der heute die Besucher von nah und fern anzieht. Mit mehr als 200 einheimischen und exotischen Gehölzen, 25 Bambussorten, einer Vielzahl alter Strauchrosen, Stauden und Kakteen und anderen botanischen Raritäten ist hier ein „Kunstwerk“ entstanden, der ihm ein virtuelles künstlerisches „Labor“ wurde, dessen Sinneseindrücke ihm neue Sichtweisen eröffnet, seinen Blick für Farbwerte und die Beziehungen zwischen den Farben geschärft haben.

Jede Jahreszeit entfaltet seine Natur- und Gartenreize. Der ausgehende Herbst verwandelt in Hanspeter Bethkes „Naturharem“ – so hat ein Kunsthistoriker Monets Blumen- und Wassergarten in Giverny, 80 km von Paris entfernt, bezeichnet – die in voller Blätterpracht stehenden Bäume und Sträucher in grafisch wie gestochene Silhouetten. Doch Buxus und Bambus setzen noch grüne Akzente im herbstlichen Garten. Die Herbstastern sind die letzten großen blühenden Stauden, aber auch der Liebesperlenstrauch wird seine roten Tupfer den Winter über behalten. In bizarren figurativen Formen reckt sich der Wacholder, im flüsternden Zwiegespräch steht der gelbe Bambus vor mächtiger Baumsilhouette. Die Farben der Hortensie beginnen immer mehr zu verblassen, doch die Zaubernuss strahlt unbeirrbar in einem permanenten Rot. Als Zeugen versunkener Bauernkultur fungieren Sandsteine aus der Elblandschaft und Künstlerfreunde haben Gartenplastiken beigesteuert. Ein Basalt hat die Gestalt eines Elefanten und dort lugt eine Holzskulptur hinter dem Busch hervor. Selbst die niedrigsten unter den Pflanzen wollen sich im Kakteenbeet noch nicht geschlagen geben. Im Vertrauten kann jetzt das Fremde entdeckt werden. Wie Familienangehörige wirken die nickenden Stockrosen oder Bethke malt das an den Garten grenzende Atelier, die Werkstatt des Gartenschöpfers. Selbst auf dem Atelierdach gedeihen tief wurzelnde Stauden und auch Rosen prächtig. Und noch die Scheune gewährt emporstrebenden Kletterpflanzen vom Wein bis zur Pfeifenwinde Halt und Schultz. Im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, von Wetter und Lichtverhältnissen liefert der Garten die unerschöpflichen Motive für seine Bilder. „In der Qualität unterscheide ich nicht zwischen meinen gemalten Bildern und den mit Pflanzen gestalteten Räumen des Gartenkunstwerkes Saxdorf. Beide sind sowohl Bilder nach innen wie nach außen. Yin und Yang im besten taoistischen Sinn. Lebendige Beispiele des Buches der Wandlungen!“ sagt Bethke. Yin und Yang sind in ihrer jeweiligen periodischen Ab- undZunahme und ihrem Zusammenspiel Manifestationen des Tao, das in der Ordnung und Wandlung alles Seienden zum Ausdruck kommt.

In der Tat, Bethkes Blumen- und Gartenbilder können als „Simulationen“ mit einer Fülle von Sinnenreizen, die ein Garten ausstrahlt, gedeutet werden. Schatten werden nicht mehr als Grauflächen gezeigt, sondern als Blau-, Grün- oder Violett-Töne, um so das von ihnen reflektierte Licht zu berücksichtigen. Es ist, als wolle er das Visuelle auch ertastbar machen, indem er die Grenzen der Simulation erweitert. Sein Zeichnen und Malen kann als synästhetisches Zusammenspiel auf psychischer Ebene betrachtet werden. Baudelaire hat es so formuliert, dass „Düfte, Farben und Töne einander entsprechen“. Die leichten Pinseltupfer der Dalienblüten suggerieren gleichzeitig den Duft, die Textur und die Farbe der Blumen. So erweist sich der Garten als emotionale Kraft, die den seelischen Zustand und das Wohlbefinden des Betrachters – und des Gärtners – zu beeinflussen vermag. Gärten – so verstehe ich Hanspeter Bethke wohl recht – sollen zur Genesung der Seele dienen.

Als seinerzeit die impressionistische Bewegung längst ihren Höhepunkt überschritten hatte, legte Claude Monet seinen Garten von Giverny an. Er war für den alternden Künstler kein Ort der Augenfreude allein, sondern ein Laboratorium der Moderne, in dem er in hartem, angestrengtem Ringen über drei Jahrzehnte seine „Studien- und Forschungsarbeit“ betreiben sollte. Die „Nymphéas“, wie er sie poetisch nannte, die Bilder der Seerosen, wurden zu seinem künstlerischen Leitmotiv. Aus seiner langen Beschäftigung mit einer Unterwasserwelt, die sich spiegelt, in der kein Himmel zu sehen ist, außer seiner Spiegelung im Wasser, das die ganze Fläche ausfüllt, vollzog Monet einen für das Landschaftsbild überhaupt umwälzenden Schritt. Er entdeckte, dass es eine Landschaft ohne Horizont gibt, die jede Distanz zwischen Auge und Bild aufzuheben vermag. Der Betrachter kann in diese Licht- und Wasserlandschaften eintauchen, sie umfassen ihn, tragen ihn mit im Fließen und Strömen eines Prozesses, der dem Bewusstsein, der Erinnerung gleicht. Das war die letzte Konsequenz des Impressionismus und zugleich dessen Umschlagen in die Abstraktion. Das Unbestimmte einzufangen, das Flüchtige zu fixieren, den so vergänglichen und komplexen Ansichten Form und Platz zu geben – das waren damals die wichtigsten Bestrebungen der Moderne. Und diesen Weg beschreitet Hanspeter Bethke weiter.

„Ich will malen, Farben und Formen nach eigenen Intentionen komponieren. Ich will Stimmungen und Atmosphäre erzeugen, seelische Empfindungen ausdrücken – eine Kunstwelt organisieren, die nur auf sich selbst bezogen ist“ (Hanspeter Bethke).

Wie ein Spiel auf zweierlei Ebenen muten die Bilder des „phantastischen Realisten“ Hanspeter Bethke an. Ein Geschöpf fremder Herkunft stellt sich hier als ein Wunderbares, Ungewohntes zwischen die uns vertrauten Dinge, unter unser Licht, in unseren Raum, und es ist gerade die gewöhnliche Wirklichkeit, die seine Seltsamkeit erst deutlich macht. Umgekehrt können die gewöhnlichen Dinge durch die Reizung unseres Vorstellungsvermögens seltsame, der Logik widersprechende Bilderketten heraufführen. Sie können auch bei voller Bewahrung ihrer materiellen Realität durch Vertauschung, Verknüpfung oder Isolierung einen ganz unerwarteten Beziehungsreichtum gewinnen.

Der Künstler lässt sich vom Spiel der Formen und Farben tragen, um in deren Verlauf durch raffinierte Technik – mit Öl, Tempera, Wasserfarben, Wachsstift und Wachskreide, als Wachsaquarell auf Papier, auch Packpapier, gewaschen, d.h. auf dem Papier zerfließend, dann wieder in Liniengespinste eingehüllt, als Linolschnitt, kombiniert mit Aquarell und Silber auf Papier – lenkend einzugreifen. Er erfindet Strukturen im Ungeformten, und das Ungeformte selbst richtet sich in bestimmten Strukturen ein. Die menschliche Figur, das Porträt ist selbst eine Struktur und Strukturen unterworfen, die er immer wieder neu erfindet. Das imaginäre Bildnis führt ein grafisches Eigenleben. Von einem zarten Liniengespinst durchzogen, wird der kaum begonnene Rhythmus immer wieder geändert und durch eine Gegenbewegung aufgehoben. Das Ergebnis ist eine seltsam irisierende, flimmernde Zuständlichkeit. Hier wird mit Freudscher Tiefgründigkeit eine Vivisektion betrieben, um das Innerste der Figur, dessen inneren Seelenzustand zu erkunden.

Der Künstler beherrscht die Formensprache eines doppelbödigen Humors, der leise Ironie, skurrilen Spott, betroffen verstummendes Lachen und intensiv mitleidendes Gefühl zu vereinen vermag. Er greift zumeist ein banales Sujet aus der Alltagswirklichkeit auf, und indem er den Begriff des Sujets in der Wörtlichkeit seiner eigenen Sprach- und Formgebung darstellt, transformiert er ihn in eine ironische Distanz der Verfremdung, die ebenso die Phantasie anregt als auch das kritische Sehen ermöglicht. Die Vielfalt des Lebens sucht er als simultanes Gespinst von Formen, Farben, Linien und gestischen Rhythmen durch eine breite Skala von Artikulationsgebärden und Ideenassoziationen zu erschließen. Die gewöhnlichen Dinge – so die allgegenwärtige Tragetasche – können durch die Reizung unseres Vorstellungsvermögens seltsame, der Logik widersprechende Bilderketten heraufführen. Ein merkwürdiges Eigenleben besitzen „Fingertasche“ (1999), „Fußtasche“ (1999), „Messertasche“ (1999), „Pinseltasche“ (2000), „Rosentasche“ (2000) – eine blaue „Kreuztasche“ (2000) mit rotem Kreuz auf gelbem Grund kann ebenso Hilfsbereitschaft, Zuwendung gegenüber dem anderen signalisieren, aber auch das sprichwörtliche Kreuz bedeuten, das jeder für sich zu tragen hat. Die Dinge können auch bei voller Bewahrung ihrer materiellen Realität durch Vertauschung, Verknüpfung oder Isolierung einen ganz unerwarteten Beziehungsreichtum gewinnen.

Der Zufall artikuliert sich bei Bethke als unvorhersehbare Befreiung spezifischer Bildformationen aus dem unerschöpflichen Vorrat des Bewussten wie Unbewussten, des Gegenwärtigen, Vergangenen wie Zukünftigen, des Geschichtlichen wie Naturhaften, des Mythologischen, Märchen- wie Sagenhaften. Das ins Bewusstsein gehobene Bild unterwirft sich dann aber in einem zweiten Akt der Gestaltung dem reflektiv-dialektischen Bezugssystem der Parodie, Ironie, Negation und Verfremdung. Dabei steht das Ich als unsichtbarer zentraler Mittelpunkt in jeder Figuration, in jedem Sujet, es verschlüsselt sich als unmittelbare naive Artikulationsgestik im einzelnen Bildsujet und in den vom Aphorismus und Wortspiel geprägten Titelgebungen.

Eine solche ironische Brechung zwischen Zeichen und Bezeichnetem, zwischen Bildgestaltung und Bildthematik zeigt ein elementares Verhältnis zum Einfachen an: Das Gesehene wird bezweifelt, solange es nicht in seiner komplizierten Wirklichkeit erkannt ist. Das Faszinierende an diesem in Bildern vollzogenen Reflexionsprozess liegt in der stets gewahrten Heiterkeit, die alles Zwanghafte und Denunzierende verdrängt und den Akt des Denkens und Erkennens als das wahrhaft Humane manifestiert. Dort, wo Bethke eine ungewöhnliche Bild-Wort-Schöpfung in ihrer realen Begriffskompilation bildlich vergegenwärtigte, erreichte er mit seiner ästhetischen Bild-Poesie eine schon literarische Ironie, die mit der Widersprüchlichkeit konventioneller Bezeichnungsmechanismen operiert.

In seinen Zeichnungen, Tempera-Arbeiten, Aquarellen, Collagen und seiner Druckgrafik figuriert er mit instinktiver Formulierungspräzision und naiver Einfalt die rhythmischen Triebkräfte der Natur: „Form mit Schraffur“ (1987, Tempera auf Papier), „Runde Form“ (1989, Tempera auf blauem Packpapier), „Blaue Form“ (1996/2000, Linolschnittfarbe mit Aquarell und Silber auf Papier), „Amorph mit Grün“ (2000, Druckfarbe, Wachsaquarell, Tempera auf Papier), „Amorph mit Gelb“ (2000, dieselbe Technik), „Form“ (2000, Linolschnittfarbe mit Aquarell und Silber auf Papier). Die einfache biomorphe Arabeske wird zum Symbol der rhythmischen Naturmetamorphose, die aus dem unaufhörlichen Wechsel des organischen Auflebens und Vergehens stets neue gestaltliche Profilierungen hervorbringt. Aber Hanspeter Bethke formiert – ähnlich der erzählenden Chiffrenmalerei Paul Klees – auch Kompositionen aus figuralen Bildmetaphern, die als unmittelbare „Entäußerungen“ der Phantasie entsprungen sind und nun in der Wirklichkeit „dingfest“ gemacht werden.

Hanspeter Bethkes mitunter fast „gegenstandslosen“ Bilder sind von schwingenden Farbbewegungen erfüllt. Sie werden oft von einer umfangenden Formgeste, etwa in Gestalt eines amorphen Gebildes, zusammengefasst, so dass alles sich in einem Zentrum innerhalb des umgrenzten Bildes ballt. Zu dieser Endlichkeit in der Ausdehnung steht die Vertiefung des Farbereignisses scheinbar im Kontrast – durch die häufige Turbulenz der Abstufungen, Schichtungen, Durchdringungen und Überschneidungen. Doch nur scheinbar, denn die Ordnung der prismatischen Farbzerlegung bindet alle Töne an eine gemeinsame Farbskala.

Was präsentiert der Künstler? Landschaftsformationen, Blumen- und Gartenbilder, Fenster als Verbindungsglieder von Innen und Außen, amorphe Form- und Farbgebilde, liniengebündelte Figurationen, abstrakte Köpfe, Dinge , wie die schon genannten „Tragetaschen“, die ein merkwürdiges Eigenleben führen. Mit diesen Elementen, wie traumhaft zu einem präzisen Bildaufbau zusammengefügt, beschwört Bethke seine Wirklichkeit.

Er setzt Zeichen, die entweder von gegenständlichen Bildungen abstrahiert oder frei – aus inneren Erfahrungen – erfunden oder gefunden werden. Seine Bildzeichen nehmen im Bildraum, in dem sie auftauchen, sich offenbaren, verhüllen, verändern, einen traumartig-schwebenden Charakter ein. Der Sinn dieser Zeichen muß vom Betrachter gefunden werden, durch ein Befragen und Vergleichen dieser Zeichen und ihrer Konfrontierung mit der eigenen Erfahrung. Das Verstehen dieser Zeichen ergibt sich aus der Erfahrung von Gleichgewicht, Balance, Takt, Echo, Tragen, Lasten, Fallen, Aufrichten, Schweben, Vernetzen, Verhüllen, Verstecken und Offenbaren. Manche Blätter zeigen einen geradezu pantomimischen Zeichenvorrat, in dem die Gestik eines Eulenspiegels, eines Harlekins auf ihren elementaren Ausdruck konzentriert erscheint. Schauend und denkend zugleich muss der Betrachter die Bildidee zu erfragen suchen. Dabei ist der Weg vom Abbildhaften zum Zeichenhaften bei Bethke deutlich zu verfolgen. In der Natur dieser Zeichen bleibt das Abbildhafte zwar erkennbar, doch wird es zum psychisch-assoziativen Element verdichtet. Viele Zeichen blicken den Betrachter unmittelbar an, oft wie Hilfe suchend, handeln so aus dem Bild heraus, während sie gleichzeitig in einer Handlung im Bild beteiligt sind, die kreatürliches Schicksal spiegelt.

Blau, Braun, Ocker, Zinnoberrot, Gelb, Grün und Schwarz sind sparsam, aber unfehlbar eingesetzt. Rot und Gelb wirken durch ihre Grellheit und Leuchtkraft gegenüber dem ruhigen Blau und Grün energisch und mitunter aufdringlich und unmittelbar erregend. Gelb strahlt zwar nach außen, hat aber keine Resonanz und Tiefe. Rot dagegen ist die Farbe der lebenskräftigen Bewegung an sich, die Erscheinung der vitalen Energie. Während Grün in sich selbst ruht, macht umgekehrt Blau den Eindruck, es ströme zur Einheit und löse sich in diesem unendlichen Ausströmen auf.

Am organischen wie vegetativen Wachsen, Verändern und Vergehen entwickelt Bethke seine Bildzeichen. Sie assoziieren in knappster Form Elemente, die im Wachstum wie Abbau begriffen sind, fast kalligraphisch zu verstehende Liniengespinste, in denen die Erfahrung von Anziehung, Verschmelzung, Abstoßung zum Ereignis wird. Man glaubt, der Sekundenbruchteil eines fließenden Prozesses sei festgehalten, dessen zeitliche Verschiebung sofort eine veränderte Konstellation ergeben müsse. Was in den Umrissen der Figur anklingt, tönt als Echo in den begleitenden Formen wider, sensibel die Grundgestalt modulierend. Mit dem fast halluzinatorischen Auftauchen der Figuren aus dem Nichts wird auf ein grundsätzliches Anliegen der Malerei Bethkes verwiesen, das Echo figürlich-menschlicher Formen auch in gegenstandslosen Gebilden wiederzufinden und zu identifizieren

Sein Werk wird in seiner Gänze erst noch richtig zu entdecken und in unsere Kunstlandschaft einzuordnen sein.Klaus Hammer