Laudatio – „Blumenbilder und andere Arbeiten auf Papier“

Hanspeter Bethke – Ausstellungseröffnung am 14. Oktober 2010 im Kreismuseum Finsterwalde „Blumenbilder und andere Arbeiten auf Papier“

Eine Laudatio in vier (musikalischen) Sätzen von Andreas Pöschl

1. Satz: Lyrische Eröffnung

Klaviermusik, Schuberts Noten werden behend und geschmeidig durch des Pianisten Hände in Töne gesetzt. Der Romantiker lädt ein zum träumerischen Schweifen der Gedanken. Über weite Phrasierungen fühlte ich Chopin zu hören, seine polnische Seele. Draußen blinzelte die Sonne durch die großen Scheiben, ihr Licht änderte ständig seine Intensität, je nach dem, ob ein Baumstamm, Zweige, Laubblätter oder Nadeln dessen Weg versperrten und es brachen. Das wachsende Grün wirkte märchenhaft, Gestaltgebung und naturhafte Wildheit in einem. Im Raum eine Buntheit von Menschen, versonnen lauschend, ließen auch sie sich umweben von den Tönen. Die Träumerei wurde kurzzeitig unterbrochen – weil es kam: das typisch aufrüttelnde Motiv, das den deutschen Romantikern inhärent ist und den wirklichen Komponisten Schubert kenntlich machte. Salonkultur – so stelle ich sie mir vor, muss sie gewesen sein im 19.Jahrhundert, in den berühmten Kunstsalons, vornehmlich geführt von durch ihre Kunstsinnigkeit und Gastgeberqualitäten herausragenden Damen. In Saxdorf lebt diese Kultur, getragen von zwei männlichen Protagonisten. Der skizzierte eingefangene Augenblick sah einen davon in den Mittelpunkt gerückt, der uns auch heute hier beschäftigen soll, denn es war eine subjektive Moment- aufnahme von der Geburtstagsfeier zum 75. von Hanspeter Bethke letzten Sonntag.

2. Satz: Biografisches Zwischenspiel in staccato

Geschichte zu betrachten hat immer etwas Besserwisserisches, da man sich ob der geschehenen Zeitläufte schlauer wähnt, als der jeweilige im Prozess der Gegenwart befindliche Zeitgenosse, der im geschichtlichen Strom, der oft auch als stehend oder rück-fließend wahrgenommen wird, aber manchmal eben auch Momente von reißender Kraft besitzt, befindlich ist. Dieser lebt von seinen ganz spezifischen Erfahrungen, Umwelteinflüssen und Visionen und sucht seine Fundierung.

Hanspeter Bethke wurde 1935 in Magdeburg geboren, inmitten der Hitlerei, dem finstersten Kapitel deutscher Geschichte. Auch ohne profundes geschichtliches Wissen weiß man, was diesem Jahrgang bevorstand. Der Beginn der umfassendsten menschlichen Barbarei, zuerst in den Köpfen und dann in der Realität. Hunger, Zerstörung, Neuanfang von Null, eine Erziehungsdiktatur, kalter Krieg folgten. Dieses 20. Jahrhundert ließ nichts aus.

Kriegsbedingt wurde die Familie nach Langenstein in den Harz evakuiert. Die Mutter, gelernte Schneiderin, brachte ihre drei Kinder mit Hilfe der Nähmaschine über die Runden. Die stets interessierende Frage, wie und wodurch entwickelte sich der Heranwachsende zum Künstler, ab wann machte sich die künstlerische Seite bemerkbar, soll auch uns beschäftigen. Dass vererbte Gene wichtig sind, dazu bedarf es nicht einer durch die Medien wabernden abgestandenen Brühe, die neu aufgekocht wird. Im erweiterten Familienkreis gab es einige Talente, die sich malend betätigten, ein Auge und eine geschickte Hand besaßen, um vorzugsweise Ansichtskarten originalgetreu abzumalen.

In Langenstein hatte er ein Schloss mit Park vor der Haustür. Die Landschaft, die Natur und ihre Gestaltungsmöglichkeiten faszinierten ihn frühzeitig – praktisch-eingreifend als auch zeichnerisch. Der Vater kam aus dem Krieg und fand in Halle eine Beschäftigung, so dass die Familie 1947 dort ihren neuen Wohnsitz fand. Die relativ unzerstörte Stadt, nicht ungeliebt, sollte in den kommenden Jahrzehnten sein Lebensmittelpunkt bleiben. In den berühmten Fränkischen Stiftungen ging er zur Schule. Und immer begleitete ihn sein Hobby: das Malen von Landschaften in der Landschaft. Eine Erkenntnis, die später nicht mehr verfolgt wurde, war die Beobachtung, mit bestimmten Malmotiven, vorzugsweise abgemalten oder imaginären Alpenszenerien, Geld zu verdienen. Der Jüngling setzte diese Erkenntnis lohnenswert um. Mit einer Mappe seiner Landschaftsmalerei schaffte er auch die Aufnahme zum Kunststudium an der Burg Giebichenstein. Sein Studiengang hieß „Angewandte Malerei“, das Aufnahmejahr war 1954. Es dauerte bis 1959 und seine Professoren waren Lothar Zitzmann, Kurt Bunge und Willi Sitte, der auch sein Mentor für eine anschließende Verbandsaufnahme war, die aber noch einige Jahre auf sich warten lassen musste, weil auch sein Pate Opfer einer aktuellen Kampagne im Kunstbereich wurde.

1961 war Hanspeter Bethke mit zwei Landschaftsbildern in der aufsehen erregenden Ausstellung „Junge Künstler“ in der Akademie der Künste zu Berlin vertreten, für deren Zustandekommen besonders Fritz Cremer wirkte. Zum zeitlichen Umfeld: 1959 gab es die Bitterfelder Konferenz. Die Kunst sollte sich endlich dem „wirklichen“ Leben, also dem idealisierten, zuwenden, dem heroischen Leben der Arbeiterklasse. Dabei waren die formalen Mittel mit einer einseitig-kanonischen Art des Realismus fest geschrieben. Jegliche anderen formalen Äußerungsformen waren als Modernismus verpönt und fielen unter das Verdikt der ideologischen westlichen Beeinflussung. Hiergegen begehrte eine neue Generation junger Künstler auf. Für sie bedeutete der Mauerbau auch, dass nicht mehr jede Schieflage im Leben der Gesellschaft dem Klassenfeind zugeschrieben werden konnte, sondern auch hausgemacht war. Diesem Konflikt wollte man sich stellen. mit wirklichen lebensnahen Inhalten und zeitgemäßen Ausdrucksformen. Dieser Antagonismus sollte die DDR bis zu ihrem Ende begleiten. – Und der junge Künstler Hanspeter Bethke suchte in diesem Kontext seine eigene Position. Die Ausstellung fand in den Medien das erwartet kritikaster- hafte Echo. Schmähschriften von „Werktätigen“ begleiteten auch seine Entwicklung. Wer neugierig auf Bilder dieser Zeit von Hanspeter Bethke ist – über dem Flügel in der Saxdorfer Galerie sind einige davon zu sehen.

Um zu überleben, arbeitete er nachfolgend als Restaurator – von der Altmark über Wörlitz bis nach Thüringen. 1969 wurde er in den Verband bildender Künstler aufgenommen, und er machte sich gleichzeitig als Restaurator selbständig. Durch Karl-Heinz Zahn, den er 1966 kennen lernte, wurde Saxdorf ab den 70-er Jahren seine zweite Heimat und zunehmend zu seinem Lebensmittelpunkt. Die Saxdorfer Kirche wurde durch ihn von 1972 – 1974 restauriert. In all diesen Jahren als Restaurator blieb er trotzdem der Malerei treu. Er war bei allen Kunstausstellungen des Bezirkes Halle dabei, hatte Einzelausstellungen in Galerien, war bei der 8. und 9. DDR-Kunstausstellung vertreten, und in Saxdorf arbeitete er nicht nur an seinem gärtnerischen Kunstwerk, sondern setzte auch sein malerisches Schaffen fort. Die dort durchgeführten jährlichen Sommerplenairs in den 70-er und 80-er Jahren sind legendär. In Saxdorf erlebte er den gesellschaftlichen Umwälzungsprozess vor zwei Jahrzehnten, der wie eine Frischluftkur auf ihn wirkte, und gemeinsam mit Karl-Heinz Zahn brachte er das Kunstprojekt Saxdorf zu einer einmaligen und zugleich vielblättrigen Blüte, die wir bis heute genießen dürfen.

3. Satz: Das malerische Werk – ein Potpourri von Kennern

Hanspeter Bethke begann als Landschaftsmaler im impressionistischen Duktus. Seine in den letzten Jahren verlegten Kunstkataloge enthalten keine Arbeiten dieser Schaffensperiode. Eines davon begleitet ständig meinen Büroalltag in Herzberg – „Die Elbfähre bei Mühlberg“ aus dem Jahre 1977. Es ist Teil des aufgebauten Kunstfundus des Landkreis-Kulturamtes, der durch einen jährlichen bescheidenen Ankaufsfonds von 2000 € die Schaffensperioden der heimischen Künstler dokumentierte, aber durch die Schieflage des Haushaltes ab dem Jahr 2000 jäh abgebrochen wurde. Daheim empfängt mich, neben drei Aquarellen neueren Datums, eine Saxdorfer Gartenansicht aus dem Jahre 1975. Sie trägt durch ihre pastose Malart und ihre Farbigkeit eher expressive Züge. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wurden seine Bilder immer heller. In Halle galt er schon als Weißmaler. Mit Beginn der 80-er Jahre betrat ein völlig anderer Bethke die malerische Bühne. Als Malgründe dienen jetzt vorrangig Millimeterpapier, Kalendarien, alte Drucke oder Packpapier.

Vier Ausstellungen anlässlich des 75. Geburtstages von Hanspeter Bethke sind derzeit zu besichtigen. Fotografien von Paul Böckelmann zum Gartenkünstler Bethke sind in der Galerie Altenau zu sehen. Aus der „Frühphase“ seiner neuen, gerade angerissenen Ausdrucksweise: „Manns-Bilder“, Zeugnisse der Jahre 1982/83 in der Kleinen Galerie „Hans Nadler“ Elsterwerda sowie aktuelle Bilder, die fast durchgängig ab dem Jahre 2000 entstanden sind, im Opernhaus Halle und hier im Kreismuseum.

Der Kunstwissenschaftler Fritz Jende schreibt über diese neuen Arbeiten: Sie wirken unabsichtlich, überraschend, sind weder Abbildung noch Zeichen für etwas außer sich. Was sie festhalten, ist der Prozess ihres Entstehens, das allmähliche, unwillkürliche Werden von Gebilden aus schweifenden, tastenden oder energisch-bestimmten farbigen Spuren des Pinsels, farbige Kreiden oder der bloßen Hand. Die Lust am Zeichnen ist spürbar, die sinnliche Verführung durch das Material, durch den Reiz farbiger und gebrauchter Papiere. Überraschend die während der Arbeit entstehenden figürlichen Assoziationen, die sich gleichsam beiläufig, aber unabweisbar einstellen und in kruder Wesenhaftigkeit ihr Eigenleben entfalten. Von Blatt zu Blatt erwachen sie in veränderter Gestalt und bilden sich metaphorisch fort. Als ihr Geburtshelfer umkreist Bethkes zeichnende Hand die entstehenden Gebilde, verhilft ihnen, sich im Raum des Bildes zu definieren. Das geschieht zuweilen meditativ, häufiger aber eruptiv, getragen von einer lebhaften Einbildungskraft und dem überströmenden Temperament des Künstlers, das sich jeder angestrengten Akribie im Arbeitsprozess entzieht. Charakteristisch für Bethkes Arbeiten sind nervige Linien, vitale Arabesken und schweifende farbige Schraffuren, gerahmt von einer dominanten Begrenzung. Letztere gibt den Arbeiten ihren figürlichen Charakter, der häufig noch durch silberfarbene Gründe hervorgehoben wird. Die meisten dieser Bildfiguren assoziieren Kreatürliches und sind mit einem Anflug existenzieller Komik behaftet. Dazwischen menschliche Figuren, die in grotesker Theatralik Lasziv aneinander vorbeiagieren. Die Assoziationsmöglichkeiten sind vielfältig, sie auszusprechen heißt, sie zu begrenzen. Hanspeter Bethkes Weise ist es, sich überraschen zu lassen.

Soweit Fritz Jende. Hanspeter Bethke liebt keine Hineininterpretation in seine Werke. Aber genau das ist die Funktion der Kunst für den Menschen. Deshalb ist sie Kunst, weil sie die Fähigkeit zur Vielschichtigkeit besitzt und jeder in seinem Kopf ein anderes Bild wahrnimmt. Durch seinen ganz persönlichen Hintergrund, seinen Erfahrungsmustern im Leben und in der Kunst.

Der niederländische Komponist und Maler Burkhardt Söll charakterisiert den Künstler Bethke folgendermaßen: Ein junger Wilder? Wer ihn kennt, wird mir zustimmen: Man könnte ihn als Händel in einem Händelfilm auftreten lassen, mit Kostüm und Perücke. Die perfekte Inszenierung, nicht nur weil er aus Halle kommt, die passende Sprache und Statur ins Spiel bringen kann, sondern vielmehr, weil er in den letzten Jahren ein Riesen-Halleluja singt. Weil er mit Farbstiften und Kreiden Unmengen von Opernszenen formulierte, wo man aneinander vorbei singt, grotesk kommuniziert, wo auf barocke Weise Familienelend sich manifestiert. Ein karikaturähnliches Storyboard für Opernszenen des Abschieds, des Ankommens, des Bittens, der Verzweiflung, der Unmöglichkeiten, der Unterdrückung, des Aufbegehrens. Aber all diese Bedeutungen geraten ins Zwielicht der Ironie. Nichts lässt sich eindeutig auflösen, es bleibt ein Rest.

Und noch ein Dritter soll zu Wort kommen: sein Künstlerkollege und Freund Paul Böckelmann: Bei der Sichtung seiner Arbeiten auf Papier fällt mir als erstes die formale Übereinstimmung zwischen der Anlage seines Gartens und der Struktur seiner künstlerischen Arbeiten ins Auge. Hier wie dort Gestaltwechsel, Formwechsel, Sichtwechsel – Vielschichtigkeit der Mittel – man meint in den Zeichnungen suchendes Brabbeln, fragendes Tasten, Kehrtwendungen der Zeichenhand, sichtbar gelassene Irrtümer, eben all den Spuren zu begegnen, die das bildnerische Gestalten, dieses in Formen und Farben denkende Arbeiten verursachen.

Auf Bethkes Werken ist folglich viel „Dreck“ belassen. Und das ist nicht verwunderlich, wenn man das „Nicht lineare Weltbild“, das Querdenken des Künstlers HPB als Voraussetzung seines Tuns akzeptiert. Form ergibt sich bei ihm aus Ungestalt, Nebenherkratzen, Wegkrakeln und mit etwas Glück gewinnt auch ein aufblitzendes, satyrhaftes Lächeln die Macht, die inhaltliche Oberhand in der Zeichnung. Die Farbe gerinnt aus Aquarellnäpfchen, Ölflecken, besprayten Papieren, die als hilfreiche Abdeckung gedient haben, aus den Hinterlassenschaften von Kaffee, Tee und Kugelschreiber auf papiernen Schreibtischunterlagen. Das unfertige, unakademische Handwerk ist des Machers Rüstzeug, um gegen Banalität, genormte Denkmuster, geflissentliches Angepasst sein gefeit zu sein. Nun denke man sich dieses Handwerk aber nicht als Unkenntnis. Dafür bürgt seine akademische Ausbildung an der Burg Giebichenstein in Halle, die von den Wurzeln her dem Kunsthandwerklichen stark verpflichtet war, sowie seine jahrelange Tätigkeit als Restaurator, die ihm sehr viel Fähigkeit und Wissen abverlangt hat.

Paul Böckelmann zeichnet ein Bild des Querdenkers Bethke. Ich sehe ihn ebenso. Dem Maler, Gartenkünstler und auch Musikliebhaber ist in allen drei Gattungen eines gemein: er liebt die individuelle, aus dem Moment heraus entstehende Improvision, deren Ausleben, um sie letztendlich aber in eine umschließende Form zu bringen oder, wie in der Musik, zu wissen.

4. Satz: Coda – ein Nachspiel persönlicher Art

Ich kenne Hanspeter Bethke seit einer Zukunftswerkstatt, die ich im Vorfeld der Großkreisbildung, vielleicht Anfang 1993, organisierte. Hier in diesem Museum. Karl-Heinz Zahn und er kamen damals mit dem Modell ihrer zukünftigen Galerie in diese Runde mit damals vielen unbekannten Gesichtern. Fortan entwickelte sich eine tiefe Zuneigung. Er charakterisierte mich einmal als Sythese von Kreativität und Gluckenhaftigkeit. Das mag stimmen, würde mich für meine berufliche Tätigkeit auch als geeignet erscheinen lassen, besonders für die Zusammenarbeit mit den hier ansässigen Künstlern. Ich mag an Hanspeter Bethke sein profundes Wissen, seine Kunstsinnigkeit, seine lustvolle Art des Neckens und sein genüssliches Lachen während eines Konzertes. Hiermit möchte der Laudator enden, der noch vor wenigen Tagen so aussah (wenn er an die Rede dachte) wie der „Ratlose Engel“ des Malers, in der Ausstellung. Auch diesen habe ich sehr ins Herz geschlossen.